Doris Dörrer, Hospizgruppe Kißlegg

Ich habe heute im Rahmen der Reihe „Mein Kißlegg“ einen Interview-Termin mit Doris Dörrer, der Koordinatorin des Vereins „Hospizgruppe Kißlegg“. Wir treffen uns bei ihr zu Hause, das auch gleichzeitig das Büro der Hospizgruppe ist. Es ist ein strahlender Herbsttag, die Blätter leuchten in allen Variationen von Gold- und Rottönen, dennoch ist das Gefühl dieses Mal anders, nicht so unbekümmert wie bei den vorherigen Gesprächsterminen. Heute geht es nicht um Blumen- und Gartenthemen, Fasnet oder Sportverein, heute begegne ich einem Thema, vor dem ich mich, als Dreißigjährige, gerne noch drücken würde: den letzten Momenten im Leben eines Menschen.

Doris Dörrer ist seit nunmehr 20 Jahren in Kißlegg. Die Liebe hat die gebürtige Ehingerin in den Flecken gebracht. Von Beruf ist sie gelernte Kinderkrankenschwester, als ihre drei Kinder aus dem Gröbsten heraus waren, begann sie ihre Tätigkeit als Nachtwache im Ulrichspark. „Hier merkte ich, wie wichtig es für die älteren Menschen ist, kurz vor dem Einschlafen eine Geschichte zu hören oder noch ein kurzes Gespräch zu führen“, berichtet Dörrer aus dieser Zeit. Im Jahr 2000 musste sie diese Tätigkeit jedoch aufgeben; ihre Kinder und ihr pflegebedürftiger Vater verlangten nun ihre vollste Aufmerksamkeit. „Ich blieb dem Ulrichspark und den schwerkranken und sterbenden Menschen jedoch erhalten, wenn auch nur ein bis zwei Stunden pro Woche, in denen ich ehrenamtlich, Pflegebedürftigen Gesellschaft geleistet, sie begleitet habe. Natürlich war dies viel zu kurz und ich konnte nur punktuell Menschen besuchen und bei ihnen sein. Deswegen fing ich an, mich im Bekanntenkreis umzuhören, und suchte nach Menschen, die mich in meiner Tätigkeit unterstützen wollten.“ Mit der Zeit kam eine stattliche Anzahl an ehrenamtlichen Helfern zusammen und am 17. Oktober 2010 wurde die Hospizgruppe Kißlegg als Verein mit knapp 50 Mitgliedern ins Leben gerufen.

Der Begriff Hospiz steht für Herberge

Das Wort Hospiz kommt aus dem Lateinischen und heißt übersetzt: Herberge. Ein Hospiz ist ein Ort für schwerstkranke und sterbende Menschen, die nur noch eine begrenzte Lebenszeit von wenigen Wochen oder Monaten haben. Bereits im Mittelalter waren Hospize an Bergen, Klöstern und Pilgerstraßen angesiedelt, um Reisende, Kranke und Hilfsbedürftige aufzunehmen. Diese fanden hier Pflege und Fürsorge. „Wir begleiten den Menschen, egal woher er kommt, wer er war, was er ist“, formuliert es Doris Dörrer in ihren eigenen Worten. „Wir fragen was er braucht, was er benötigt – das kann je nach Fall und individuellem Wunsch etwas anderes sein. Mal ist es der Wunsch miteinander zu schweigen, miteinander zu plaudern, spazieren zu gehen, Eis zu essen, oder tiefe Gespräche zu führen – das gibt alleine der jeweilige zu Begleitende uns vor“, berichtet Dörrer.

Im Landkreis Ravensburg gibt es heute insgesamt 13 ambulante Hospizgruppen, sechs davon, wie auch in Kißlegg, mit hauptamtlicher Leitung. Doris Dörrer ist die sogenannte Koordinatorin des Vereins. „Ich werde von Privatpersonen, Angehörigen, dem Pflegepersonal oder den Pflegedienstleitern kontaktiert, sobald es eine Person gibt, die die Hilfe eines Hospizbegleiters benötigt“, erklärt sie den gängigen Ablauf. „Daraufhin wird ein Termin für einen Erstbesuch vereinbart, ich lerne die Person und ihre Bedürfnisse kennen und entscheide danach individuell, wer von unseren ehrenamtlichen Helfern die richtige Begleitung ist.“

Gut, jetzt sind wir genau an der Stelle, vor der ich mich zuvor leicht gefürchtet habe. Wie begleitet man einen fremden Menschen in seinem letzten Lebensabschnitt, welche Fähigkeiten und Kompetenzen sollte ich mitbringen, um dieser Aufgabe gewachsen zu sein? Wer hilft mir, wenn ich nicht mehr weiter weiß, bzw. wenn ich selbst noch keinen Pflegefall in der Familie hatte, woher nehme ich das Wissen, wie ich in einer möglichen Notsituation entsprechend reagiere?

„Jeder ehrenamtlich-Tätige in unserem Verein muss eine Ausbildung absolvieren“, fängt Doris Dörrer an, mich in die Grundlagen des Vereins einzuführen. „Die Ausbildung teilt sich in 72 Stunden Theorie und 28 Stunden Praxis auf“, so Dörrer weiter. „Man darf die Ausbildung aber bitte auf keinen Fall als furchterregendes Studium mit abschließender Prüfung verstehen. Wir geben unseren zukünftigen Hospizbegleitern in unseren Kursen wichtiges Rüstzeug mit an die Hand. Jede Ausbildung dauert so lange, bis sich unsere Ehrenamtlichen bereit fühlen, den Menschen alleine, im Rahmen ihrer Tätigkeit, zu begegnen“, so Dörrer weiter.

Die Theorie unterteilt sich in vier Kursinhalte: Ein Block beschäftigt sich mit dem Thema Demenz, ein Kurs widmet sich ganz der Pflege, ein Teil vermittelt den Teilnehmern die Grundlage der richtigen Kommunikation und eine Kurseinheit, das sogenannte Celler Modell, widmet sich ganz der Vorbereitung der Teilnehmer auf die Begleitung Schwerkranker und Sterbender. Dazu kommen 28 Stunden wertvoller Praxiserfahrung, die direkt bei den Menschen u.a. im Ulrichspark abgeleistet werden. „Das Pflegepersonal hat meist nicht die Möglichkeit, Sterbenden über Stunden Gesellschaft zu leisten. Dennoch sind wir kein pflegerischer Ersatz“, betont Dörrer. „Wir vermitteln unseren Hospizbegleitern in den Kursen das nötige Basiswissen, sodass sie in Notsituationen richtig und sicher handeln können bzw. richtig Hilfe leisten.“

Altern in der Singlegesellschaft

16 Millionen Menschen in Deutschland leben heute allein. Das ist jeder Fünfte. Über viele Jahrhunderte hinweg, war es eine selbstverständliche Aufgabe der Menschen, Mitmenschen und Familienmitglieder auf dem letzten Weg zu begleiten. Dies ist heute leider nicht mehr oft der Fall. In unserer heutigen Singlegesellschaft sind viele Menschen, speziell im Alter, auf sich alleine gestellt. Und genau hier setzt unsere Arbeit im Verein an. Für mich gehört es einfach zu den Grundbedingungen menschlichen Lebens, in den Grenzerfahrungen von Geburt und Tod einander nicht alleine zu lassen, den Sterbenden zu begleiten und bei ihnen zu sein“, begründet Dörrer ihre Motivation.

Die Begleitung umfasst überaus viele schöne Momente

Es wird viel erzählt und gelacht, Anekdoten von früher zum Besten gegeben. Wertvolle Zeit, die dem Moment seine Schwere nimmt und ein Leben bis zuletzt ermöglicht. Wir möchten dem schwerkranken Menschen vermitteln: Du bist wichtig, weil du bist. Du bist einmalig auf dieser Welt“. Doch auch die Betreuung der Angehörigen verlangt ihre Zeit: „Wir stehen den Angehörigen mit Rat und Tat zur Seite, geben Orientierung und Sicherheit, haben ein offenes Ohr für Sorgen und Ängste“, erzählt Dörrer. Hierzu wurde u.a. vor zwei Jahren das, monatlich stattfindende, Trauercafé ins Leben gerufen, ab Januar wird eine zusätzliche Veranstaltung das Programm für Alleinstehende, Angehörige und Hinterbliebene ergänzen.

Irgendwie war es nun doch nicht so schwer, wie gedacht. Doris Dörrer hat für sich ganz klar einen Weg gefunden, mit dem Thema Tod umzugehen. Auch dank ihres Glaubens weiß sie, dass sie im letzten Lebensmoment den betreuten Menschen nicht loslässt, sondern ihn in eine offene, bergende und liebende Hand übergibt. Ich muss für mich eingestehen, dass ich noch nicht diese Festigkeit habe und mich mit dem Thema Sterben und Tod bisher nur selten freiwillig auseinandergesetzt habe. Vielleicht ängstigt es mich auch genau deswegen – auf Grund meines Unwissens und meiner Unsicherheit, was danach mit uns passiert.

Wie sieht nun der ideale ehrenamtliche Helfer aus? Frau Dörrer muss auf Grund meiner naiv gestellten Frage schmunzeln. „Wir suchen Menschen, die in einem gefestigten Lebensabschnitt sind, die Ruhe, Ausgeglichenheit und Gelassenheit ausstrahlen. Unsere Begleiter benötigen Einfühlungsvermögen, sollten emphatisch sein, auch manches Mal zwischen den Zeilen lesen können. Und sie sollten natürlich zuverlässig sein, wir müssen ihnen vertrauen können. Und, das möchte ich noch ergänzen, die Fürsorgekultur gilt nicht nur für die, von uns betreuten Personen, sondern natürlich auch für unsere ehrenamtlichen Helfer. Wir treffen uns regelmäßig zum Austausch untereinander, bilden uns weiter, hören interessante Vorträge oder machen gemeinsame Ausflüge“, zählt Doris Dörrer auf.

„Falls nun jemand Interesse bekommen hat, sich bei uns aktiv als Mitglied einzubringen, können mich Interessierte jederzeit gerne persönlich kontaktieren und sich die Details einer aktiven oder einer passiven Fördermitgliedschaft nochmals in aller Ruhe erklären lassen“, so Doris Dörrer abschließend.

„Mein Kißlegg“ ist eine lose Folge von Interviews mit Personen aus dem Vereinsleben Kißleggs. 
Sind auch Sie in einem der zahlreichen Kißlegger Vereine aktiv und möchten uns Ihren persönlichen Lieblingsplatz zeigen? 
Dann schreiben Sie uns unter sabine.weisel@kisslegg.de mit dem Betreff „Mein Kißlegg“.